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Erste Geschäftsreise

Die vergangenen Monate waren turbolent und stressig schön. Privat- wie Arbeitsleben schlugen unabhängig einige Kapriolen. Nach den Querelen mit meinem Vermieterenkel hatte ich die alte Wohnung, die in ihrer Größe und Ausstattung sowieso nicht meiner Natur entsprach, nach gerade einmal einem halben Jahr gekündigt. Beruflich habe ich mein eigenes Büro bekommen und wurde von allen Deutschen Projekten abgezogen und an ein einziges Französisches verliehen. Da meine Projektkollegen in Paris sitzen, durfte ich einige Male nach Frankreich reisen, was für Anfänger wie mich sehr unüblich ist. Aber ich hatte Glück in einem wichtigen wie dringendem Projekt mitzuarbeiten. Allerdings machen plötzliche Geschäftsreisen die Wohnungssuche enorm spannend, denn mir lief am Ende schlichtweg die Zeit davon. Die Wohnung fand ich nur 4 Tage vor Monatsende.
Aber diese Geschichte dreht sich nicht um Wohnungen und Arbeit - auch wenn sich allein damit einige Seiten füllen lassen könnten. Es dreht sich um meine ersten Erfahrungen in Frankreich. Zwar war ich Juni 2008 schon einmal kurz in Paris gewesen, allerdings habe ich außer der Metro und einem viel zu kühlem Meeting Raum (und - zugegeben - dem Triumphbogen) nichts von Paris gesehen. Dieses Mal durfte ich aber gleich in 2 aufeinanderfolgenden Wochen im März dorthin. Das erste Mal für 3, das zweite Mal immerhin für 2 Tage. Die Arbeit befindet sich in einem der Türme in La Defense, dem Geschäftszentrum in Paris, in dem sich ein Wolkenkratzer mal mehr oft weniger esthetisch an den nächsten reiht. Mein erste geführte Runde durch die Abteilung endete am Kaffeeautomaten im Kaffeeraum - einem kleinem fensterlosen klimatisiertem Kämmerchen. Die ausführliche Erläuterung der verschiedenen Kaffeesorten erinnert mich sehr stark an L'Auberge Espagnole und lediglich reflexartig überlegte ich kurz das Weite zu suchen.
Abends brachte ich nur schnell meine Tasche im Hotelzimmer unter und machte mich endlich daran die Stadt zu erkunden. Bis dato hatte ich mit Frankreich nie etwas zu tun gehabt. Es war (und ist es eigentlich immer noch) ein riesiger weißer Klecks in meiner gedanklichen Europakarte. Ich strandete mit der Metro in St.Michel, der Touristenhochburg Paris. Da Paris von Touristen nun üblicherweise sowieso von Touristen überlaufen ist, kann man sich das Gewimmel in St.Michel leicht ausmalen. American English an jeder Ecke - zumal gerade St.Patrik's Day war. Das ganze fühlte sich widerlich künstlich an und so beschloß ich durch die kleinen Gässchen zum Eifelturm zu stromern, der nicht so weit weg zu sein schien. 2 Stunden und ein Abendessen später erreichte ich ihn sogar und musste beeindruckt feststellen: das Ding ist verdammt groß. Aber das hatte ich mir schon gedacht, als er am Horizont einfach nicht näher kommen wollte, obwohl ich kontinuierlich auf ihn zu ging. Ich erreiche ihn knapp zu spät um noch hinaufzufahren und so beschloss ich mich mit 2 Dosen Bier auf mein Hotelzimmer zurückzuziehen, da Pariser Bierpreise sich durchaus mit Norwegen messen können.
Zurück im Hotel war ich aber dann doch zu müde und legte mich nur schlafen. Da sich der Deutsche Arbeitsrythmus zum Frnzösischen um ca. 2 Stunden verschoben ist, wachte ich zu früh auf, um nicht alleine auf der Arbeit zu sitzen. Am Ende dieses Arbeitstages ging ich mit Kollegen raus, die mir die etwas abgelegeneren Orte in der Nähe der Touristenpfade zeigten. Ein Dinner und eine Flasche Wein später befand ich mich wieder in La Defense mit jeder Menge neuer Eindrücke.
Der dritte Tag war ein Freitag und mein Zug zurück nach Aachen war der letzte des Tages. Ich verließ das Büro pünktlich, eilte zügig zur Metro und freute mich auf Zuhause. Im Gegensatz zu meinen nächtlichen Streifzügen war die Metro aber zu dieser Zeit überfüllt. Allein für die Tickets musste ich 15 Minuten anstehen. Vorsorglich kaufte ich mehrere, aber da die Übersetzung nicht eindeutig war, kaufte ich unwissen verkehrte Tickets. Die Türen zur Metro entwerteten zwar brav meine Tickets, ließen mich aber nicht passieren. Nach weitern 10 Minuten Anstehen und mit Frnzösischer Hilfe war ich um einige vergeudete Euro ärmer und immer noch nicht an den Metroeingängen vorbei. Verzweifelt sprach ich einen Passanten an, der mich mit durch die Tore nahm. Von da aus ging im Sprint in die Metro und schaute gefühlt alle 10 Sekunden auf die Uhr. Im Zentrum musste ich umsteigen und die Metro war so überfüllt, das Metropersonal vor jeder Tür stand und sich jedem in den Weg stellten, der versuchte sich noch in den Zug zu quätschen - so wie ich. Ich rannte auf die Metrotür zu, die schon zuzugehen drohte. Ein gewissenhafter Angestellter stellte sich mir mit ausgebreiteten Armen und bestimmendem Kopfschütteln in den Weg. Aber entweder erschreckte ihn mein Englisch oder die hohe verzweifelte Stimme mit der ich auf ihn zurannte und rief "Please, please, please!!!". Er sprang zur Seite und ich in die Menschenmenge im Zug. Die Tür schloß sich und meine Reisetasche hing noch darin. Die anderen Passagiere halfen aber sofort, stemmten die Tür wieder auf und wir zogen die Tasche ganz herein. 2 Minuten vor Zugabfahrt gelangte ich völlig durchgeschwitzt am Bahnhof an. Für meinen Zug wurde aber kein Gleis angezeigt. Ich rannte an den Gleisen vorbei aber nirgends war mein Zug angeschrieben. Einen Zeitung lesenden Passanten sprach ich an und er meinte ganz ruhig "Then we have the same problem. I am also waiting for that train". Völlig erschlagen von seiner Gelassenheit sich 2 Minuten vor Abfahrt icht um den Aufenthaltsort des letzten Zuges aus Paris kümmern zu wollen ließ ich ihn stehen und rannte auf den erst besten Bahnsteig - der zufällig der richtige war. Und wie sich herausstellte war der Zug noch gar nicht eingetroffen sondern hatte eine halbe Stunde Verspätung. 
Damit war das Rückreisefiasko aber noch nicht vorrüber. Ein Joguslawischer Familienvater bat mich auf seine Frau und Kinder aufzupassen und sie mit in Aachen aussteigen zu lassen, da er nicht mitfahren würde und sie die Sprache nicht beherrschen würden. Die Frau hatte 2 Kleinkinder und 1 Baby dabei. Natürlich half ich gerne aus. Auf dem Weg nach Brüssel verloren wir eine weitere halbe Stunde und kurz vor Brüssel kam eine merkwürdige Durchsage des Zugfahrers. Die Durchsagen sind immer in 4 Sprachen: erst Französisch, dann Niederländisch, dann Deutsch, dann Englisch. Französisch verstand ich natürlich nicht, aber an den genervten Gesichtsausdrücken der Mitreisenden konnte ich schon kategorisieren: es wird nicht bei einer Stunde Verspätung bleiben. Die Niederländische Durchsage verstand ich zwar, sie ergab für mich aber keinerlei Sinn, daher glaube ich nicht daran. Die Deutsche Durchsage wiederholte aber das Verstandene: "Wegen eines technischen Defekts muss der Bahnhof Brüssel-Midi evakuiert werden." Den Bahnhof evakuieren? Weil unser Zug kaputt ist?! Was außer Bremsen kann an einem Zug kaputt sein, das einen ganzen Bahnhof bedroht? Ganz zu schweigen, dass man einen nicht bremsbaren Zug nicht eben Mal so evakuieren kann. Diese Durchsage verursachte anscheinend so viel Verwirrung, dass der Zugfahrer anscheinend noch einmal seine Wörterbücher durchsah und sich 2 Minuten später korrigierte: "Wegen eines technischen Defekts wird der Zug im Bahnhof Brüssel-Midi evakuiert. Bitte steigen sie in den anderen Zug um." Das machte schon eher Sinn. Nach dem Umstieg fielen aber zwischen Liege und Aachen noch Signale aus, so dass wir eine weitere halbe Stunde in einem Tunnel fest saßen. Im Zug machte ich mittlerweile ein genervte bis lockere Feierabendstimmung breit. Zum Glück hatte ich noch ein Dosenbier dabei, was es mir einfacher machte sich der lockeren Gruppe anzuschließen. Ich traf zufällig eine Kommilitonin aus meinen FH Zeiten im Zug. Sie arbeitet jetzt in Paris und wir haben uns für die nächste Parisreise verabredet. Sie kannte mich zwar nicht, aber das ist auch kein Wunder, ist es für einen Informatiker doch allein im Verhältnis viel einfach sich an die 3 Informatikerinnen zu erinnern als umgekehrt. Zum Glück war sie mit an Bord, so dass die 1,5 Stunden recht schnell vorbeigingen.
Eine Woche später durfte ich für 2 Tage nach Paris. Wegen der kurzen Reise lohnte sich aber ein abendlicher Ausflug nicht, so dass ich bis nachts im Büro blieb und direkt in Hotelzimmer wechselte.

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